Sprache


Sachbuch

Status
verfügbar

Zweigstelle
Stadtbibliothek Göppingen
Standort
1. OG - Geschichte-Gesellschaft-Politik
Autor:Weber-Kellermann, Ingeborg
Titel:Die Kindheit
Titelzusatz:Kleidung und Wohnen, Arbeit und Spiel ; eine Kulturgeschichte
Verfasserangabe:Ingeborg Weber-Kellermann
Erschienen:Frankfurt am Main : Insel-Verl., 1979. - 285 S. : zahlr. Ill.
Standort:Kulturgeschichte
Schlagwort(e):Kind ; Kindheit ; Kulturgeschichte ; Sozialgeschichte ; Erziehung
Annotation:Wer kauft, wer benutzt so ein Buch? Sicherlich nicht die, von denen es handelt, mit denen es sympathisiert: die Kinder. 64, – Mark teuer, über drei Pfund schwer, kostbarste Ausstattung – ein Prachtband eben, schon auf dem Titelbild mit einem wahren Prachtkind geschmückt: Ein rundes, rotbackiges, fröhliches Kind, hübsch und vornehm gekleidet, lächelt den Leser an, verspricht ihm erbauliche Lesestunden. Ein Buch eher zum andächtigen Anstaunen als zum neugierigen, praktischen Gebrauch; kaum vorstellbar, daß es Eltern gibt, die einen solchen Schmuckgegenstand in schmutzige Kinderhände geben. Man nimmt also das Buch von Ingeborg Weber-Kellermann: „Die Kindheit“ – Eine Kulturgeschichte; Insel Verlag, Frankfurt; 285 S., Abb., 64,– DM mit Staunen und Mißtrauen in die Hand; staunend über all den Reichtum, mißtrauisch, ob sich dahinter nicht die pure Protzerei verbirgt. Aber dann entdeckt man in der luxuriösen Verpackung ein ehrliches, passioniertes Buch, einen durchaus ehrgeizigen, selbständigen Text, der auch Widerspruch einlegt gegen die Schönheit der bibliophilen Inszenierung. Denn natürlich weiß Ingeborg Weber-Kellermann, daß die Botschaft der Bilder zweifelhaft ist, daß Gemälde und Photographien fast immer gestellte, geschönte Realität sind, weniger Abbilder der Wirklichkeit als Wunschbilder; und sie weiß, daß selbst Elendsszenen aus dem Leben der Kinder auf alten Bildern, auf teurem Papier eher pittoresk wirken als erschreckend. Wer das Buch nicht nur flüchtig-entzückt durchblättert, sondern tatsächlich liest, ist vor falscher Rührung sicher. Denn geradezu heroisch weigert sich die Autorin, die Geschichte der Kindheit als eine Legende zu erzählen, für sentimentale Erwachsene. Für die Kinder nämlich war die Kindheit in den vergangenen Jahrhunderten kaum je ein Paradies. Die Geschichte der Kindheit ist eine Passionsgeschichte: „Die gute alte Zeit, als die die Epoche vor der Industrialisierung gern gepriesen. wird, stellt sich bei näherem Zusehen für den Großteil der Bevölkerung als ein harter Kampf um die bloße Existenz dar.“ Bei diesem Kampf hat man die Kinder keineswegs als die Schwächeren, Schutzbedürftigen angesehen. „Denn von Natur sind alle Kinder zum Bösen geneigt, drum muß man sie kurz halten“, schrieb Lieselotte von der Pfalz, und das ist nur ein Dokument von unzähligen, mit denen Ingeborg Weber-Kellermann an die Gleichgültigkeit, Stumpfheit, „die außerordentliche Unsensibilität der Erwachsenen gegenüber den Kindern“ erinnert, die man früher (nur früher?) für elterliche Liebe hielt. Die „Kinderkultur“ vom 16./17. Jahrhundert bis zur Gegenwart ist das Thema; dargestellt wird es in vier Abteilungen: Kleidung und Wohnen, Arbeit und Spiel. Die Autorin schaut nicht spekulierend, psychologisierend in die „Seele“ der Kinder, sie betrachtet die Gegenstände kindlichen Lebens – denn auch die Gegenstände sprechen, sind eine „non-verbale Sprache“. Das Vergnügen an diesem Buch ist immer ein mit Erschrecken gemischtes. Wer sich an den Bildern aus dem bürgerlichen Kinderzimmer (an Puppenstuben, Zinnsoldaten, Schaukelpferden) ergötzt, muß kurz darauf Über das brutale Elend in den Mietskasernen der Gründerzeit lesen; wer das schöne, alte Spielzeug bestaunt, muß sich auch anhören, welche Not der Preis für solche Kostbarkeiten war: „Das Elend der Heimarbeiter gerade in der Spielzeugindustrie war beispiellos und erreichte um die Jahrhundertwende eine außerordentliche Verschärfung.“ Zwei Schwächen hat dies schöne (undeben nicht nur schöne) Buch, eine harmlose und eine erhebliche. Harmlos, weil rasch vorübergehend, die Anfälligkeit der Autorin für einen krampfigen Sozio-Jargon, wo dann von „Verhaltensanirieben“, „Interessendominanten“ und immer wieder von „Strukturen“ die Rede ist und wo manchmal mit größtem Verbalaufwand kleinste Erkenntnisse mitgeteilt werden: „Das heißt insbesondere, daß Kindheit als ein sozialer Status nicht darstellbar ist, ohne den sozialgeschichtlichen Wandel der Familie als einer gesellschaftlichen Primärform mitzudenken ... Diese kulturellen Leistungen werden nun im Funktionsbereich der zwischenmenschlichen Handlungen zu sozialen Tatsachen, die dann wiederum dialektisch auf die tragenden Sozialsysteme zurückwirken? Das alles ist ja wohl wahr – und doch kaum mehr als das gespreizte Nichts. Wichtiger aber, störender, daß dies Buch aus zwei Büchern besteht. Für die Geschichte der kindlichen Kleidung nämlich interessiert sich Ingeborg Weber-Kellermann in einem Ausmaß, mit einem Engagement, das die Dramaturgie des Buches oftmals sprengt, zu den seltsamsten Proportionen führt. So sind (kuriosester Fall) die Abschnitte über die „Lederhose“ und über die „Jeans“ ausführlicher (und weitaus temperamentvoller geschrieben) als das Hauptkapitel „Die Zeit des Faschismus“, das auf vier überaus dürren Seiten absolviert wird.

Exemplare

Mediennr Zweigstelle Standort Status Aktion
85/4273 Stadtbibliothek Göppingen Details verfügbar

Tipps

Andere fanden diese Medien interessant

In meinem Konto anmelden.



In meinem Konto anmelden.